24.06.2024
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DER STAB IN DER ERDE

Ein Moment, wo Krieg zu Frieden wird.

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Bodensee… so oft poste ich hier die Bilder meiner großen Liebe. Ja, ich liebe diesen See, so sehr! Ich liebe seinen Geruch, seine Präsenz, sein weiches, klares Wasser, seine Farben, seine Wildheit, seine schnellen Wendungen mit Fallböen und wandartigen Gewitterfronten. Ich liebe seine Stille bei Nacht und die Lebendigkeit bei Tag. Die Wasservögel, die, zusammen mit dem Wellenplätschern und dem Blätterrauschen diesen unnachahmlichen Klangteppich kreieren.
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Und… so lange war dieser Ort immer auch mit dem Schatten des Krieges belegt. Noch heute sitzt mein Vater mit mir auf der Terasse, schaut versonnen über den See und erzählt von Kampfflugzeugen, Flag-Angriffen und von Orangen, Bananen und Schokolade – von denen er nicht wusste, was das ist, nur dass es das in der Schweiz gibt… da drüben, am anderen Ufer.
Aber nicht nur der zweite Weltkrieg sitzt meiner Familie noch im Nacken. Auch ein innerer Krieg lebt in diesem Familiengewirk seit ich denken kann. Ein unterschwelliger Strom der Missgunst, der sich in unterschiedlichen Sichtweisen und Beschuldigungen zeigt, die ohne Unterlass über Jahrzehnte das Familienleben bestimmt haben.
Ja, ich habe es immer geliebt, hier am See zu sein, aber ich habe es auch gehasst. Ich habe es gehasst, dass immer diese Energie mit hier war. Immer die nächste Salve um die Ecke lauerte, sie sich nicht in Ruhe lassen konnten, aber auch keiner den Weg gefunden hat, diese Fehde zu lösen. Und auch wenn es fast mein Herz zerrissen hat – über viele Jahre habe ich diesen Ort gemieden, bin nicht mehr in dieses Feld gegangen, habe mich zurückgezogen.
Etwas in mir konnte das nie verstehen. Konnte nicht verstehen, wieso sie sich nicht einfach mal zuhören? Wieso sie sich nicht sehen können, wieso sie immer und immer wieder den anderen übergehen und es einfach nicht merken? Ich habe das nicht verstanden – und wollte es so gerne. Ich habe mir so sehr gewünscht, dass sie endlich damit aufhören. Endlich die Wunden im anderen sehen, warum sie so sind, wie sie sind. Doch ich musste auch sehen, dass es eben einfach nicht so war – sie haben nicht damit aufgehört.
Und irgendwann wurde mir klar, dass auch ich das eigentlich weiterführe – indem ich sie für ihr Verhalten verurteile, sie anders haben will, sie meide.
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Jahre später bin ich wieder da. Ich habe Mut gefasst und habe zart angefangen, mich wieder dem Familienfeld zu nähern. Besuche meinen Vater wieder am See, verbringe einzelne Tage hier. Meiner Seele tut das gut – ich bin wieder Zuhause, an meinem Wurzelort.
Bis ich die Email öffne. Ich sitze auf der Wiese unter dem großen Baum, der mir Schatten und Liebe spendet und schaue über mein Handy in die Mails. Und da ist sie… und ich könnte platzen. Die ich weiß nicht wievielt-tausendste Mail genau in dem Ton, den ich nicht ertragen kann. Ich spüre, wie es in mir hochkocht, wie ich sie alle am liebsten packen und schütteln würde, wie ich das einfach nicht glauben kann, dass das weiterhin geschieht…
„Das kann doch nicht wahr sein!!“
Und dann shiftet etwas in mir, nicht genau wissend, woher das kommt.
Aber etwas wird ganz ruhig, völlig selbstverständlich, ohne Zweifel – und sagt:

„Ich glaub’ wir können das auch anders.“

Ich glaub’ wir können das auch anders. Was für ein Satz. Da ist plötzlich kein „Ich und die anderen“ mehr. Da ist kein „sind die bescheuert!“ mehr. Und auch kein „die sollten anders sein!“. Sondern ein WIR.

Und ich fühle plötzlich sehr deutlich, dass ich Teil dieser Familie bin. Ich bin nicht draußen und ich bin auch nicht besser, ich bin TEIL davon. Und dieser Teil hält ruhig seinen Stab in der Hand und steckt ihn vor sich in den Boden – in einer klaren, sicheren Geste und sagt diesen Satz: Ich glaub’ wir können das auch anders.
Und GLAUBT das. Also WIRKLICH. Ich spüre, dass ich wirklich glaube, dass wir das anders können. Und damit meine ich alle – wir, die wir hier verbandelt sind durch unser Blut und dieses Land.
Ich staune selbst über diese Bewegung in mir, kann es fast nicht glauben. Vor allem – weil plötzlich Liebe in mir fließt zu all denen, die hier gemeint sind. WIR sind gemeint. WIR können das. WIR können den Weg von Krieg zu Frieden finden.
*
Was es gemacht hat?
Mich leitet diese Bewegung. Und da ist Frieden in mir.
Es war dieser Moment, der ihn brachte – und der Krieg gegen meine Familie in mir aufhörte.
Dann bin ich los – und habe gemacht, was ich von ihnen immer wollte: Ich habe ihnen zugehört. Allen. Ich bin zu allen hin oder habe mit ihnen telefoniert, manchmal mehrere Gespräche. Habe ihnen zugehört, sich auskotzen lassen, aber auch einfach nachgefragt… wie es denn eigentlich dazu kam, dass dieser ganze Hass hochkam. Habe Menschen kennenlernen dürfen, die ich lange kannte, aber mehr in ihren Rollen und den Bildern, die ich von ihnen hatte, als wer sie wirklich sind. Ich durfte sie sehen – in ihren Schmerzen, den Fratzen und der Liebe. Und ja… ALLE, wirklich ALLE, trugen die Liebe im Herzen. Und am Ende sah ich in allen die Sehnsucht, dass es uns doch einfach gut dort unten ginge. Und alle hatten eine Bereitschaft zu einem neuen Schritt. Und alle hatten ihre Grenzen, über die sie einfach nicht hinweg kamen. Wunden, die einfach zu tief waren.
Über die Jahre hat sich nun ganz still das Feld verändert. Es gab da nun eine, die nicht Teil des Krieges war, sondern mit der man sprechen konnte. Und dann überraschender Weise noch eine, mit der ich mich verbinden konnte. So sind wir heute zu zweit – und dealen mit den Unterschieden. Und erleben solche Momente, wie der Choleriker, der mit erstauntem Gesicht vor uns sitzt und sagt:
„Also sowas hab ich ja noch nie erlebt… das ich so loslegen kann und dann bleibt jemand freundlich.“
Da liegt so viel drin. So viel. Und es berührt mich zutiefst.
Ich erlebe hier, dass eine Generation durch die Bewegungen der nächsten in leisen Schritten, an immer mehr der kleinen Ecken, Frieden findet. Und wir, die wir in diesem Krieg aufwachsen mussten – lächeln können und uns freuen, dass dieser Krieg nicht weiter geht.
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Für sowas lebe ich. Und sowas wünsche ich mir an ganz vielen Flecken dieser Erde und in ganz vielen Familien dieser Welt. Und ich weiß, dass es ganz viele Menschen gibt, die auf ihre Weise den Stab in die Erde rammen und einfach still und leise anfangen, etwas anders zu machen. Ohne Bezahlung. Ohne Ruhm. Ohne offene Anerkennung. Einfach, weil es richtig ist. Einfach, weil ihr Herz das glücklich macht.
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„Wo hast Du schon mal Deinen Stab in die Erde gesteckt?“
Das würde mich interessieren.
Ihr vielen Friedensarbeiter da draußen – lasst uns unsere Geschichten erzählen!
Ich freue mich von Euch zu hören…
In Liebe
Karin
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Karin Gal-Oz-Naveh

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2024-06-25T10:00:31+02:00

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